Blog der Schweizer Delegation am "March of the Living" 2017

 

Im April 2017 hat erstmals eine offizielle Schweizer Delegation am sogenannten ‘March of the Living’ vom Konzentrationslager Auschwitz zum Vernichtungslager Birkenau teilgenommen und dies mit einer jüdischen Studienreise nach Polen verbunden. Der Marsch der Lebenden ist ein Gedenkmarsch, der seit 1988 jedes Jahr am Jom Haschoa, dem jüdischen Holocaust-Gedenktag, stattfindet. Das Projekt steht unter dem Motto: «Reise in die Vergangenheit für unsere Zukunft». Organisiert und subventioniert wurde sie von der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) und der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ) mit Unterstützung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Als Reiseleiter und ‘Scholar in Residence’ konnte der renommierte Holocaust-Historiker und Pädagoge Awi Blumenfeld gewonnen werden.

 

Bericht in der SRF Tagesschau vom 24.04.2017

 

Den Auftakt machte bereits Ende März ein Vorbereitungsseminar in der ICZ. Dort warfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zuerst einen selbstkritischen Blick auf das bevorstehende Projekt. Wie weit darf und soll das sogenannte ‘Shoah-Business’ – sprich die touristische Vermarktung des Holocausts gehen? Einerseits stellt es einen wichtigen Tourismusfaktor für Polen dar, anderseits war es aber auch zentral für das Gelingen dieser Reise. Nach einer engagierten Diskussion folgte ein sehr eindrückliches Gespräch mit dem in Zürich lebenden Holocaust-Überlebenden Eduard Kornfeld. Er erzählte ihnen seine Lebensgeschichte von der Kindheit in der Slowakei und Ungarn über die Flucht vor dem Nazi-Regime bis hin zur Deportation nach Auschwitz, dem Todesmarsch nach Dachau und schliesslich der Befreiung durch die Amerikaner. Später kam er für einige Jahre nach Davos ins Sanatorium. Trotz guter Integration und finanzieller Unabhängigkeit wollten ihn die Schweizer Behörden ausweisen. Er fuhr nach Bern, um persönlich bei Heinrich Rothmund, dem damaligen Chef der eidgenössischen Fremdenpolizei, vorstellig zu werden. Mit viel persönlichem Engagement gelang ihm das dann auch und er erhielt eine Bewilligung, um in Zürich wohnen zu dürfen.

 

Herr Kornfeld bat die jungen Leute darum, den Block 21, in den er bei der Selektion zugeteilt wurde, stellvertretend für ihn aufzusuchen, da er selbst nicht mit nach Auschwitz fahren mochte. Am Nachmittag des Seminars wurde mit dem Basler Historiker Dr. Simon Erlanger unter dem Titel «Das Boot ist voll» die Geschichte der Juden in der Schweiz von der Antike bis zur Neuzeit sowie die Rolle der Eidgenossenschaft während dem Zweiten Weltkrieg kritisch betrachtet und diskutiert. Die jungen Erwachsenen wollten mit ihrer Reise nach Polen mehr über das prosperierende jüdische Leben vor dem Krieg und teilweise auch über ihre eigenen Wurzeln erfahren. Daneben versuchen sie «das Unbegreifliche zu begreifen», setzen sich aber auch mit den Fragen und Problemen des Judentums in der Gegenwart auseinander.

 

Am frühen Donnertagmorgen, dem 20. April, war es dann endlich soweit. Die 30-köpfige Delegation, der auch die beiden Gemeinderabbiner der IGB und der ICZ, Rav Moshe Baumel und Rav Noam Hertig, angehörten, traf sich am Flughafen Zürich. Kaum in der polnischen Hauptstadt Warschau gelandet, wurden sie von Awi Blumenfeld in Empfang genommen und dann ging das intensive Programm auch schon los. Sie besichtigten das genau vier Jahre zuvor eröffnete ‘Museum für die Geschichte der polnischen Juden – POLIN’. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernten, wie vielseitig und reichhaltig das Leben in Polen einst war. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lebten in den Städten und Dörfern Polens weit über drei Millionen Juden. Doch rund 90% von ihnen wurden während der deutschen Besatzung von den Nationalsozialisten ermordet. Nach dem Museum folgte der Besuch diverser Mahnmale im Warschauer Ghetto, des sogenannten ‘Umschlagplatzes’ sowie des jüdischen Friedhofs an der Okopowa-Strasse, der einer der grössten und bedeutendsten von ganz Europa ist.

 

Die erste Nacht verbrachte die Gruppe in der Jeschiwat Chachmei Lublin, die früher eine weltbekannte Talmud-Hochschule war und heute zum Teil ein Hotel beherbergt. Am Freitag besuchten sie das KZ Majdanek, welches zu ihrer Überraschung unmittelbar an die Stadt Lublin angrenzt. Nachmittags reisten sie weiter in die ehemalige Königsstadt Krakau und besuchten dort mehrere Synagogen und das neue Jewish Community Centre of Krakow, das auf die Initiative von Prinz Charles hin erbaut wurde. Zusammen mit jüdischen Delegationen aus der ganzen Welt beteten die Schweizer am Freitagabend in der wunderschönen Synagoga Izaaka, die Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut wurde. Das Besondere an dieser Synagoge ist, dass dort in einer Zeit als es noch kaum gedruckte Gebetsbücher gab, wichtige Texte künstlerisch auf die Wände gemalt wurden. Das Kabbalat-Schabbat-Gebet war sehr musikalisch und wurde zusammen mit anderen Gruppen aus der ganzen Welt gesagt. Nach dem G”ttesdienst am Schabbatmorgen folgten unter anderem ein Stadtrundgang durch Kazimierz, das jüdische Viertel von Krakau, sowie eine Begegnung mit Rabbiner Avi Baumol von der jüdischen Gemeinde in Krakau. Die Gruppe sprach dort auch mit der polnischen Studentin Olga, die erst vor wenigen Jahren durch ihre Grossmutter erfahren hatte, dass sie jüdisch ist. Nun ergründet sie ihre eigene jüdische Identität und möchte ein religiöses Leben führen. Solche Fälle gehören heute in Osteuropa zum Alltag, sind aber nichtsdestotrotz eine grosse Herausforderung für die betroffenen Personen wie auch die jüdischen Institutionen.

 

Am Abend stand dann noch der Besuch des Cheder Cafés auf dem Programm. Dies ist ein nicht jüdisch geführtes Kaffeehaus, in dem aber zeitgemässer ‘Jewish Lifestyle’ gelebt und gefeiert wird. Die Schweizer sprachen dort mit dem Vizedirektor des jüdischen Kulturfestivals in Krakau. Es ist mit bis zu 30’000 Besuchern eines der grössten Festivals dieser Art auf der Welt und findet jährlich statt. Krakau galt einst als ‘typisch jüdische Stadt’, denn 1935 war noch ein Drittel der Bevölkerung jüdisch. Das Kulturfestival möchte diese Traditionen und Lebensfreude wiederaufnehmen und zelebrieren. Die Organisatoren sowie der überwiegende Teil des Publikums sind jedoch nicht jüdisch. Doch gerade dies gehört zum heutigen Charakter dieser vielseitigen Stadt.

 

Am frühen Sonntagmorgen fuhren die Teilnehmenden ins Schtetl Oświęcim (zu Deutsch Auschwitz) und beteten in der teilweise noch erhaltenen beziehungsweise originalgetreu restaurierten Synagoge. Sie ist nur wenige Kilometer vom Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entfernt und heute Teil eines Museums. Die Ortschaft ringt mit ihrer tragischen Vergangenheit und versucht sich mit dem Life Festival Oświęcim ein neues Image zu geben. Am Nachmittag folgte ein eindrücklicher Besuch des Museums Schindler’s Factory. Die weltberühmte Kulisse ist auch im Hollywood-Film Schindlers Liste zu sehen, der sieben Oscars erhielt. Am Sonntagabend war die Schweizer Delegation dann an den offiziellen Gedenkanlass in der Krakauer Staatsoper eingeladen. Unter den Gastrednern war auch Benno Bättig, Präsident der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und Generalsekretär des eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Die Schweiz hat im März den Vorsitz der IHRA übernommen. Aus diesem Anlass war auch ein Team des Schweizer Fernsehens SRF vor Ort, das anlässlich des Holocaust-Gedenktages einen Bericht produzierte. Peter Balzli, der Osteuropa-Korrespondent von SRF und sein Kameramann begleiteten die Schweizer Gruppe auch am Montag nach Auschwitz-Birkenau an den March of the Living. Sie interviewten Noam Hertig, Gemeinderabbiner der ICZ und studierter Psychologe und sprachen mit den jungen Schweizern über deren Eindrücke. Der Bericht wurde noch am Montagabend in der Hauptausgabe der SRF Tagesschau ausgestrahlt.

 

Der grosse Schlusspunkt der Reise war der knapp drei Kilometer lange Gedenkmarsch vom Stammlager Auschwitz I ins Vernichtungslager Auschwitz II-Birkenau. Jedes Jahr nehmen mehr als zehntausend Menschen aus über 50 Ländern der Erde an diesem Anlass teil, der seit 1988 jährlich stattfindet. Gemeinsam besuchen sie Gedenkstätten und sprechen mit einigen der letzten Überlebenden unserer Generation. Sie setzen damit ein Zeichen für das Leben und gegen Gewalt, Rassismus und Antisemitismus.

 

Die Polenreise unter der Leitung von Awi Blumenfeld und mit der Begleitung von gleich zwei Gemeinderabbinern hätte kaum eindrücklicher sein können. Sie zeigte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das ganze Spektrum jüdischen Lebens, von Anfang des 20. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart. Natürlich war der Jom Haschoa mit dem March of the Living der thematische Mittelpunkt des Projektes. Dennoch sollte es bewusst keine ‘Tour de la Shoah’, sondern wie in der Einladung geschrieben eine «Reise in die Vergangenheit für unsere Zukunft» sein. Für einige der jungen Erwachsenen war es das erste Mal, dass sie in einem KZ standen und so direkt und ungeschminkt mit den grauenhaften Taten der Nazis und teils ihrer eigenen Familiengeschichte konfrontiert wurden. Dennoch war jede und jeder froh darüber, diese Reise angetreten zu haben.

 

Um die Gruppe mit dem Prozess des Verarbeitens nicht sich selbst zu überlassen, kamen zwei Wochen nach der Rückkehr in die Schweiz erneut alle in Basel zusammen. Am Nachbereitungsseminar konnte man die Reise in ihrer Gesamtheit nochmals Revue passieren lassen. So wurden sie bereits im Vorfeld dazu aufgerufen, aus den rund 1’550 von ihnen selbst gemachten Fotos, die besten in sechs verschiedenen Kategorien auszusuchen und zu kommentieren. Weiter ging es darum, die Kernpunkte der Reise herauszustreichen und Feedback zu sammeln. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden ferner gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. 94% gaben dabei an, dass die Reise insgesamt gut oder sogar sehr gut war. Vielen waren die knapp sechs Tage zu kurz und sie planen, individuell nochmals nach Polen zu reisen. Als Hauptmotivation für ihre Teilnahme gaben sie denn auch an, mehr über die Schoa (86%) bzw. das jüdische Leben (68%) erfahren zu wollen oder den Spuren ihrer Vorfahren zu folgen, die zur Zeit des Zweiten Weltkriegs (über)lebten haben oder gegebenenfalls auch umgebracht wurden (46%). Das Interesse an einer solchen Bildungsreise ist bei den jungen Erwachsen, aber auch bei ihren Eltern definitiv vorhanden, umso mehr, da sich 2018 die Gründung des Staates Israel zum 70. Mal jährt. Die Planung für das Jubiläumsjahr hat denn auch bereits begonnen.

 

Ihre ganz persönlichen Erfahrungen der sechstägigen Reise hat die Schweizer Delegation in einem detaillierten Online-Reiseblog (https://icz.org/motl) sowie auf der Foto-Community Instagram (www.instagram.com/motl_ch) selber festgehalten und mit vielen Fotos und Videos angereichert. Im Mai treffen sich dann nochmals alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Nachbereitungsseminar in Basel. [MF]

 

Links:

Schweizer marschierten erstmals am «Marsch der Lebenden» mit

Marsch der Lebenden – SRF Tagesschau vom 24.04.2017, 19:30 Uhr

 

 


Persönliche Erlebnissberichte der Teilnehmenden

 

Donnerstag, 20. April: Das jüdische Ghetto von Warschau

 

Es ist früh. Früh morgens. Oder um Ende der Nacht herum. Je nachdem, wie man vier Uhr morgens interpretiert. Jedenfalls ist es so früh (oder so spät), dass noch keine Busse oder Trams fahren. Und so fahren wir mit noch müden Augen und im Halbschlaf mit dem Taxi in Richtung Bahnhof SBB.

Als wir die Taxitüre hinter uns schliessen und die Koffer entgegennehmen, die der wohl auch schon eher müde Taxifahrer uns entgegenbringt, weht uns ein kalter Wind entgegen. Es ist April, fühlt sich aber wie Februar an. Wir fahren mit dem Zug nach Zürich Flughafen und vor dort nach Polen.

 

Angekommen am Warschauer Flughafen fühlt es sich gleich nochmals wie Januar an. Begleitet also vom grauen Pseudo-Januar Himmel, unseren Leitern und Pavel, dem sympathischsten slawischen Gesicht, dass wir je gesehen haben und Susan an die russischen Kindermärchen aus ihrer Kindheit erinnert, fahren wir zum ersten Halt: POLIN. Da sind wir also nun in diesem Polen. Ein Land mit einer zerrissenen und langen Geschichte. Ein Staat in dem vor dem Zweiten Weltkrieg das Epizentrum der europäischen Juden lag. Po-lin… Zu Deutsch: Hier sollst du ruhen. Einer Legende nach sollen Juden, welche aus dem Westen Europas durch Verfolgungen gezwungen waren weiter zu ziehen, auf einen Zettel diese Worte niedergeschrieben haben und dieser hätte sich durch den Wind ins heutige Polen tragen lassen und sich da niedergelassen. So begann die tausend Jahre alte Geschichte der Juden in Osteuropa. POLIN heisst auch das Museum der Geschichte der polnischen Juden, welches unser erster Halt auf der Reise ist. Das Museum befindet sich im Herzen des ehemaligen Warschauer Ghettos. Dieses ist umgeben von einem Park mit Bäumen, einer saftigen grünen Wiese und Bänken, um sich auszuruhen. Und hier kommen wir zu den prägenden Worten, welche uns unser Guide und Scholar in Residence, Awi Blumenfeld, vermittelt und die uns im Gedächtnis bleiben: „Zu sehen gibt es hier oft nicht mehr viel, man muss es sich vorstellen.“

 

Es ist kühl, als wir durch die Strassen des ehemals grössten jüdischen Ghettos in Polen marschieren. Kühl fühlt es sich an für einen April und das trotz unserer Jacken, Schale und gutem Schuhwerk. Nicht vorzustellen, wie es für die Menschen hier im eisigen Winter, in schlechter oder zerrissener Kleidung und teils ohne richtiges Schuhwerk gewesen sein muss. Die Strasse, der wir entlanggehen, ist von Gedenksteinen gesäumt. Jeder Gedenkstein erzählt eine andere Geschichte einer oder mehrerer Persönlichkeiten des Warschauer Ghettos. Was wir natürlich wissen, aber uns erst jetzt vor Ort wirklich richtig bewusst wird, ist, dass sechs Millionen ermordete Juden nicht nur eine absurde unvorstellbare Zahl ist, sondern es eben auch sechs Millionen Schicksale, Geschichten, Träume, Hoffnungen, Emotionen und eben Leben sind. Alleine schon in diesem Ghetto waren es über 450 tausend davon. Irgendwann erreichen wir die Mila-Strasse und stehen auf einem grösseren Platz. Eine ruhige Strasse, wieder säumen Bäume den Weg. Das einzige was an die Tragödie noch erinnert ist ein Denkmal und die Geschichten an die verlorenen Leben an diesem Platz. Hier an diesem Platz ereignete sich der Aufstand des Warschauer Ghettos, von dem wir schon so oft gehört haben. Hier wurden Menschen bestialisch erschossen und in ein Massengrab geworfen. Hören ist das richtige Wort, denn ausser den Geschichten, welche die nach freiem Leben sehnenden Menschen weiterleben lassen, ist nichts mehr übrig. Als wir weiter durch das Ghetto laufen und zum «Umschlagplatz» kommen, wird uns die Vergänglichkeit bewusst. Ein ruhiger Platz ist dieser Ort, welchen die Nazis Umschlagplatz nannten. Hinter einem Gitter steht ein Basketballkorb und zwei Fussballtore, Vögel zwitschern, Autos fahren vorne durch, das Leben geht weiter. Wieder erinnert nur ein Denkmal an dessen bittere Vorgeschichte. Der Umschlagplatz, war der Ort von dem die Juden aus dem Ghetto in die KZs deportiert wurden. Wir leben und sitzen hier über 70 Jahre später als freie Menschen. Frei, wo wir wohnen wollen, was wir machen wollen und frei von Angst. Frei nach bestem Wissen und Gewissen handeln zu könne. Und darum gilt: Solange wir an die Menschen denken, die wir verloren haben, gehen sie nicht vergessen und leben weiter. Am Israel chai!

 

Von Sarah Spira und Susan Reznik

 

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Donnerstag, 20. April: Der jüdische Friedhof von Warschau

Sobald ich den Friedhof in Warschau betrete, bin ich gefangen in der einzigartigen Energie der Umgebung. Es sollte eigentlich ein Friedhof sein, wie jeder andere und dennoch ist die Stimmung speziell. Die ersten Minuten bewege ich mich in der Masse der Gruppe auf dem Pflastersteinweg und der Friedhofsbesuch spielt sich ab wie jeder andere ordinäre in jeder anderen fremden Stadt.

Anders wird es, sobald ich mich ein paar Minuten in die gleiche Richtung bewege. Der Weg wird schmaler und unebener, das Grün um mich herum dichter und das spezielle Gefühl stärker. Bald sieht es mehr nach einem Wald aus, in dessen Mitte Grabsteine rumstehen. Es gibt der ganzen Szenerie eine unwirkliche Aura, wohl auch weil das Gebiet des Friedhofs selbst so weitläufig ist, dass ich die Grenze zum normalen städtischen Alltag gar nicht mehr sehe. Ich tauche mit der Gruppe so weit in den Friedhof ein, dass ich den Lärm der hektischen Warschauer Innenstadt nicht mehr höre.

Mein persönlicher Höhepunkt ist tief im Gestrüpp des Ortes, dessen Grenze zwischen Wald und Friedhof am undeutlichsten ist, als ich von einem erhöhten Punkt auf die Grabsteine runterschaue. Das erste Bild, das mir in den Kopf schiesst, ist das Bild des Berliner Holocaust-Mahnmals. Ich knipse ein Foto und steige wieder um die sich aufeinanderstapelnden Grabsteine, über die Wurzeln und unter tiefhängenden Ästen duckend durch das Dickicht auf die Pflastersteine und mache mich auf den Weg nach draussen in die hektische Innenstadt Warschaus.

Von Micha Schächter und Alessandra Guggenheim

 

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Freitag, 21. April: Jeschiwat Chachmei Lublin

 

Gestern sind wir zu später Stunde in Lublin nach einem langen und sehr intensiven Tag angekommen. Jeder wollte auf sein Zimmer, eine kurze Dusche nehmen und nur noch schlafen. Heute Morgen, als wir uns zum Morgengebet trafen, wurde uns langsam bewusst, wo wir uns befinden. Die restaurierte Synagoge der ehrwürdigen Jeschiwat Chachmei Lublin ist erst seit kurzer Zeit wieder als solche zugänglich. Zwischen dem Krieg und der Rückgabe an die jüdische Gemeinde wurde das Gebäude von der medizinischen Fakultät der Universität Lublin verwendet. Die Synagoge diente ihr als Vorlesungssaal.Lublin war vom 15. Jahrhundert an bis zum Krieg eine blühende jüdische Gemeinde. Obwohl die Jeschiwa, welche für ihren grossräumigen und komfortablen Campus sowie die grosse Grünfläche rund herum berühmt war, nur während neun Jahren einen täglichen Betrieb aufrechterhalten konnte, ist sie bis heute prägend. Rabbi Meir Shapira war der Gründer und der Leiter der Jeschiwa. Er galt als aussergewöhnlicher Erzieher und war der Ansicht, dass jedes Kind nach seinen Möglichkeiten grossgezogen werden muss und dass man jedes Kind als vollwertigen Menschen zu betrachten hat. Jedes Kind soll in der richtigen Umgebung aufwachsen, um sein Potenzial voll auszuschöpfen.Es war die Vision von Rabbi Shapira, den Talmud allen Juden – nicht nur einer kleinen, gebildeten Elite – zugänglich zu machen. Bis zu seiner Zeit war es unüblich, dass sich eine breite Masse mit dem Talmud auseinandersetzte. Er ist der Vater des ‘Daf Jomi’. Das ist ein Lehrzyklus, mit welchem man täglich ein Blatt (zwei Seiten) Talmud lernt. Innerhalb von sieben Jahren behandelt man so die ganze mündliche Überlieferung. Heute lernen zehntausende von Juden weltweit in diesem Rythmus den Talmud. Obwohl die Jeschiwa von den Nazis zerstört wurde, hat sie bis heute enormen Einfluss auf das moderne Judentum. Die Lehren und Denkweisen, die der Schule von Rabbi Shapira entspringen, werden bis heute vermittelt. Die Strahlkraft dieser Institution war und ist noch immer grenzenlos.An einem solchen Ort zu übernachten (heute dient ein Teil der Jeschiwa als Hotel) und am Morgen zu beten, war sehr speziell und eindrucksvoll. In diesen Hallen bekommt man einen Sinn für das jüdische Leben von damals. Die Juden waren stolze Bürger Lublins und mussten sich nicht verstecken. Der imposante Bau steht mitten in der Stadt. Das Gefühl, wie sich die Juden damals ausleben, bilden und unbeschwert Menschen sein durften, lässt sich nur erahnen.Von Yannick Nordmann und Eyal Kessler

 

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Freitag 21. April: Krakau

Nachdem wir uns in unserem Hotel in Krakau kurz einrichten konnten, mussten wir auch schon wieder im Bus bereit sein für Schabbat. Nun ging es in das ehemals jüdische Viertel Kazimierz, das vom gleichnamigen König für die jüdische Bevölkerung Krakaus gebaut wurde. Unsere erste Station war die Tempel-Synagoge, welche von den sogenannten Mitnagdim (der Gegenbewegung zu den Chassidim) in Auftrag gegeben wurde. Ihr Inneres ist von aufwändigen und vergoldeten Ornamenten gezeichnet. Diese teilweise auch farbigen Verzierungen und Muster machen die Synagoge zu einem sehr speziellen und schönen Ort. Von diesen prägenden Eindrücken, gingen wir weiter zur Izaaka-Synagoge. Sie wurde im 17. Jahrhundert erbaut und beherbergt heute das lokale Beit Chabad. Auf dem Weg dorthin, sahen wir diverse weitere Überbleibsel der jüdischen Vergangenheit im Quartier. In der Synagoge angekommen, herrschte bereits eine lebendige Atmosphäre. Um die 600, vorwiegend junge Erwachsene aus der ganzen Welt waren da, um gemeinsam den Schabbat zu empfangen. Dieses Gebäude stand im Kontrast zum vorhin besuchten Tempel. Die hohen Wände waren ursprünglich mit ornamentierten Gebeten bemalt, da zur Bauzeit ein Gebetsbuch grosser Luxus war. Die Wandbemalungen waren von italienischen Malermeistern gestaltet und aufgetragen worden. Leider sind sie mit den Jahren verblasst und abgeblättert. Dies resultierte in einer bescheidenen Natürlichkeit und in einer speziellen Stimmung während dem ganzen G”ttesdienst. Im Anschluss machten wir uns auf den Weg zum Freitagabendessen, das in einer Bierhalle stattfand. In dieser Halle assen neben uns diverse weitere MOTL-Gruppen. Zur Stimmung im Saal trug das Gesangsduo “Duo Re’im” mit diversen Liedern und Tanzeinlagen bei. Gesättigt und zufrieden gingen wir nach einem langen Tag zurück ins Hotel.

Von Emanuel Herz und Joshua Weill

 

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Samstag 22. April: Samstagmorgen

Endlich stand der Rundgang durch das ehemalige jüdische Viertel Krakaus und heutigem Hipster-Hotspot an: Kazimierz, benannt nach König Kasimir dem Grossen (14. Jhd.). Früher eine eigene Stadt, wurden die Juden Krakaus nach Pogromen im 15. Jahrhundert dorthin umgesiedelt. Wenigen ist bekannt dass Kazimierz das kulturelle und religiöse Zentrum der Juden in Polen war und der Zustrom von Juden aus ganz Westeuropa lange nicht abnahm. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Kazimierz dann als Stadtteil von Krakau inkorporiert.

Freudig traf sich die eine, mehr oder weniger ausgeschlafene, Hälfte der Teilnehmern mit den Männern, die sich für das Morgengebet schon in der Izaaka-Synagoge eingefunden hatten. Wir nutzten gleich die Gelegenheit um die leere Synagoge genauer zu betrachten, nachdem sie am Abend zuvor während der Kabbalat Shabbat bis auf den letzten Platz (und noch mehr) besetzt war. Die Legende besagt dass im 17. Jahrhundert ein armer Jude namens Isaak aus Kazimierz von einem Goldschatz unter einer Brücke in Prag träumte. Dort angekommen, traf er einen Soldaten der ihm von einem ähnlichen Traum erzählte, aber dieses Mal befand sich der Schatz unter Isaak’s Haus. Isaak kehrte sogleich zurück, fand das Gold und baute damit diese Synagoge. Er soll gesagt haben: “Es gibt Dinge die man auf der ganzen Welt suchen kann, nur um sie dann im eigenen Heim zu finden. Bevor man das realisiert ist es jedoch oft notwendig auf eine weite Reise zu gehen und weit und fern danach zu suchen.”

Danach machten wir uns auf den Weg durch die teils eher engen, verwinkelten Gassen des Viertels, um ab und an auf kleine bis grosse Plätze zu stossen und uns ab der schönen Ansicht der Häuser und dem Sonnenschein zu freuen. Was uns zuerst besonders entzückte waren die vielen Synagogen und auf Hebräisch angeschriebenen Lokale mit Namen wie “Ariel”, “Rubinstein” und “Klezmer-Hois”, die “authentic Jewish food” und “authentic Jewish music” anpreisen. Was auf den ersten Blick den Eindruck eines blühenden jüdischen Lebens erweckte, sind in Wahrheit leider alles nur Attrappen. Tatsächlich existiert das jüdische Leben in Krakau nicht mehr so wie es dargestellt wird – und das was noch existiert inszeniert sich garantiert nicht auf diese Art und Weise. Was uns beim Rundgang fast schon störte waren all die kleinen Trolleywagen die Touristen unter durchsichtigen Plastikplanen herumchauffieren und gleich die komplette Tour mit Kasimierz, Ghetto und Schindler’s Fabrik anbieten. Es entsteht der Eindruck eines “Jewish Disneyland” (© Awi), der sich, einmal festgestellt, nicht mehr abschütteln lässt. Es half überhaupt nicht, dass die Touristen uns “echten” Juden (erkennbar an den Kippot der Männer) dann jeweils freudig zuwinkten. Man mag von dem Ganzen halten was man möchte, aber die ganze Szenerie verdeutlicht auf jeden Fall dass die Millionen umgebrachte Juden in Polen fehlen – nicht nur hier; überall wo wir waren. Es ist sehr schade und doch recht schmerzhaft zu sehen, dass all die Synagogen gar nicht mehr gebraucht werden (ausser zu Museumszwecken und für Anlässe), trotz sorgfältiger Restaurierung und funktionstüchtiger Ausstattung.

Diesen kleinen Rundgang beendeten wir mit einem schmackhaften Mittagessen in der grossen Halle wo wir am Freitagabend schon mit Hunderten anderen MOTL-Teilnehmern gespeist haben. Danach ging es ins Galicia Museum – das sei nun von jemand anderem berichtet.

Von Roni Esther Widmer

 

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Samstag 22. April: Galizien-Museum

Im Herzen des jüdischen Viertels in Krakau, Kazimierz, liegt das Museum für jüdische Geschichte in Galizien. Die warme Aura und der moderne ‚Vibe‘, welche in einer Industriehalle geschaffen wurden, sind das perfekte Setting für die Umsetzung der Idee Chris Schwartz‘.

Schwartz, mit einem jüdischen Vater, war gefangen vom Gedanken zu zeigen, was an jüdischem Leben durch Pogrome und dem Holocaust in Galizien verloren ging bzw. zu sehen was nicht mehr zu sehen ist – den Verlust begreifbar zu machen.

Die Ausstellung umfasste verschiedene Photographien zu wichtigen Ereignissen und Orten des jüdischen Lebens und Tragödie des 20. Jahrhunderts. Ein Guide begleitete uns durch die Exhibition, wobei Awi Blumenfeld vieles ergänzte und mit umfassendem Hintergrundwissen bestach. Die bildliche Visualisierung der Werke war eine eindrückliche Alternative zum emotionalen Erlebnis vor Ort, wie beispielsweise im Konzentrationslager Majdanek. Wenige gut gewählte Photographien erzählten die facettenreiche Geschichte der Juden in Galizien in imponierender Weise. Dabei zog uns ein Bild vom Kindermassengrab im Wald von Tarnow besonders in den Bann. Ein Besuch des Museums ist sehr zu empfehlen.

Von Elisha Odenheimer und Shay Karger

 

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Am Schabbat Nachmittag besuchten wir das Galizien Museum in Krakau. Zu meinem eigenen Erstaunen berührte mich der Besuch dieses Museums beinah mehr, als der Besuch des KZ Majdanek. Während unserer Tour dort wurde mir bewusst, was an jüdischem Leben in Polen verloren gegangen ist. Trotz meines relativen grossen Wissens über die Shoa, habe ich bisher nie wirklich über das jüdische Leben in Polen vor dem Krieg nachgedacht, sondern immer nur über das grosse Morden und Sterben während der Shoa. So war auch Ausschwitz für mich bisher nur ein Ort, den ich mit dem KZ Ausschwitz in Verbindung brachte. Dass Auschwitz aber auch eine gewöhnliche Stadt mit zeitweise bis zu 20 Synagogen und einer jüdischen Bevölkerung von 60% war, war mir gänzlich unbekannt. Ich werde mich in Zukunft deshalb sicherlich mehr mit dem auseinander setzen, WAS verloren gegangen ist mit der Shoa und nicht nur mit dem WIE.

Von Nadine Stupp

 

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Sonntag, 23. April: Ein Abend in der Krakauer Staatsoper

Nachdem wir einen eindrucksvollen Sonntag in Oświęcim verbringen durften, folgten wir am Ende des Tages der Einladung in die Krakauer Staatsoper. Als erste Schweizer “March of the Living”- Delegation hatten wir die Ehre, Teil der offiziellen Holocaust-Gedenkfeier im Opernhaus zu sein. Unter den Teilnehmern befanden sich überlebende des Holocausts, wenige MOTL-Gruppen und weiter Gäste, die dem Jom Haschoah-Tag gedenken wollten. Verschiedene europäische Ministerinnen und Minister für Bildung, der Rabbiner von Krakau sowie der Schweizer EDA-Generalsekretär und Präsident der International Holocaust Remembrance Alliance hielten Reden zur Erinnerungs- und Didaktik-Arbeit des Holocausts. Durch das Programm führte der Präsident von March of the Living. Der Abend wurde durch verschiedene israelische Sänger, unter anderem Dudu Fischer, welcher ein oskarnominierter Sänger mit polnischen/ungarischen Wurzeln ist, abgerundet. Dudu Fischer beeindruckte mit seiner Stimme und gedachte damit den Ermordeten und Überlebenden Menschen der Schoa, darunter auch seinem Vater, dem er den Song „Papa, can you here me?“ aus dem Werk Yentl widmete. Der IDF-Chor, mit ihrem Oberkantor im Vordergrund, Shai Abramson, berührten das Publikum ebenso. Der Opernsaal glich einem abgerundeten, etwas nobleren Kinosaal.

Während des Abends waren wir nicht die einzigen Schweizer. Peter Balzli, SRF Osteuropa-Korrespondent und der Kameramann Charley Meyer hielten Teile des Abends auf Film fest. Auch andere nationale und internationale Medien berichteten über den Abend.

Der Trauer- und Gedenkenevent endete damit, dass sechs Kerzen für die sechs Millionen verstorbenen Juden angezündet und die Hatikva gesungen wurden.

 

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Sonntag 23. April: Die Stadt Oświęcim
Der Sonntagvormittag begann für uns schon bevor die Sonne am Himmel stand. Der Hotelweckdienst rief uns kurz vor 6 Uhr in der Früh an. Eine halbe Stunde später sassen wir schon in unserem Reisebus und warteten voller Spannung auf die Abfahrt. Der Grund für den frühen Start war unsere Verabredung mit dem Direktor des jüdischen Museums von Oświęcim, Herrn Kuncewicz. Die Stadt befindet sich geografisch ca. 3 km Luftlinie entfernt vom KZ Auschwitz. Vor dem Zweiten Weltkrieg war der Hauptteil der Bevölkerung dieser Stadt jüdisch. Mittlerweile gibt es gemäss Herrn Kuncewicz nur noch etwa zwei Familien mit jüdischen Wurzeln in dieser Stadt. Nach dem tragischen Schicksal, welches dieser Stadt widerfahren ist, bekennen sich diese Familien leider nicht mehr zu ihrer jüdischen Identität. Der Direktor des jüdischen Museums von Oświęcim erklärte uns, dass seine Motivation für die Aufrechterhaltung des Museums die ehemals starke Verankerung der jüdischen Kultur in dieser Stadt ist. „Das darf nicht untergehen“, bekräftigte er. Die Stadt liegt etwa eine viertel Stunde Busfahrt von Auschwitz entfernt. Warum also konnten die Deutschen dieses KZ in solch naher Entfernung von einer Stadt betreiben? Schon der Geruch der Krematorien musste die Stadtbevölkerung auf den Gedanken bringen, dass hinter dem Stacheldraht Schreckliches geschieht. Herr Kuncewicz erklärte uns, dass es Zeiten des Terrors waren und sich auch die polnisch stämmige, nicht-jüdische Bevölkerung um ihr Leben fürchtete. Nach dem interessanten Gespräch mit ihm sind wir durchs Museum gegangen und haben uns die letzten Beweise eines jüdischen Lebens in dieser Stadt angeschaut. Danach trafen wir Judith, eine junge Berlinerin, die kürzlich ihr Abitur abgeschlossen hat und zurzeit in Oświęcim lebt. Sie ist als freiwillige Helferin in dieser Stadt, um gegen das Vergessen zu kämpfen.Für uns ist es unbegreiflich, wie eine ehemals so ausgeprägte Volksgruppe plötzlich ausgelöscht wird. Die jüdische Bevölkerung in Oświęcim betrug vor dem Krieg rund 60%. Alles, was jetzt noch zu finden ist, sind alte Hinweise wie die Synagoge, der Friedhof oder die ausgestellten Artefakte, die auf ein früheres jüdisches Leben hindeuten.Von Nicole Senecky

 

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Sonntag 23. April: Schindler Fabrik

Anschliessend an unseren Besuch im jüdischen Ghetto in Krakau fanden wir uns vor einem unscheinbaren grauen Gebäude im Industriequartier der Stadt wieder. Nur die unzähligen Jugendlichen in den auffälligen blauen ‘March of the Living’ Jacken waren Anzeichen, dass wir uns an einem bedeutenden Ort befanden. Das Gebäude, in dem sich die Fabrik von Oskar Schindler befand, wo er 1’098 Juden aus dem KZ Plaszow das Leben retten konnte, befindet sich hier. Es beherbergt heute ein Museum über die Geschichte der Stadt Krakau während der Nazi-Besetzung – aus jüdischer und christlicher Perspektive. Die Räumlichkeiten der Fabrik wurden gekonnt in einen eindrücklichen, windenden Pfad entlang der Krakauer Geschichte verwandelt. Angefangen mit Bildern des Alltagslebens vor dem Krieg, fanden wir uns in einer nachgestellten Bahnhofswartehalle wieder. Dumpf konnten wir Explosionen aus der Ferne hören. Die Wehrmacht hat Polen angegriffen, bald werden die Nazis in Krakau einmarschieren. Im folgenden Gang musste man sich durch schwere, bodenlange Hakenkreuzfahnen zwängen, welche die bedrückende Stimmung weiter verstärkte. In der anschliessenden Nachstellung des neu errichteten Krakauer Ghetto spürte man die drückende Enge förmlich. Umgeben von Bildern und Zeitzeugenberichten windet man sich eng an der Ghettomauer entlang. Das ganze Museum ist sehr durchdacht angelegt. Immer wieder finden wir uns in einem zeitgenössischen Coiffeur-Salon, einer originalen Strassenbahn, einem Steinbruch oder einem unterirdischen Kellerversteck wieder. Sehr greifbar wird diese vergangene Zeit so wiederbelebt. Diese Darstellungen werden mit Fotos, Zeugenaussagen und Originaldokumenten ergänzt und bieten damit einen beeindruckenden Einblick in die Zeit der Nazi-Herrschaft in Krakau. Am Ende des Pfades betritt man einen dunklen, nach unten windenden Gang. Der Boden besteht aus einem unebenen, weichen Material. Man geht unsicher, langsam. Nach einem Rank betritt man einen strahlend hellen runden Raum. Die Zeit der Besatzung ist zu Ende. Wir stehen schweigend für einige Minuten da. Man merkt wie sich die drückende Stimmung langsam löst. Und nun auf zum Bus! Zeit für langes reflektieren bleibt selten während diesen vollgepackten Tagen. Aber einen bleibenden Eindruck hat dieses Museum nichtsdestotrotz auf mich gehabt. Ich werde wiederkommen.

Von Morten Braden-Golay

 

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Montag 23. April: KZ Auschwitz

Liebe Alle, auch für mich und meine Frau war es eine sehr spezielle Reise. Ihr wart eine sehr tolle Gruppe, voll mit Motivation, Interesse und Elan. Ich hoffe, dass die feurige Inspiration dieser Reise in euch weiterlebt und ihr diese auf eure persönliche Art und Weise weiterträgt. Henryk Broder sagte mal: Es ist schön, wenn man der Judenvernichtung gedenkt, doch noch besser ist es aber, wenn man die Juden (meine Hinzufügung: und das Judentum) verteidigt und sich dafür einsetzt. Wir verabschieden uns von euch und hoffen, dass ihr auch andere junge Leute dazu animiert an dieser speziellen Reise teilzunehmen. Noch einen speziellen Dank an Awi, Rav Kobby und Rav Noam für alles!Moshe und Chana Baumel

 


 

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