85 Jahre nach der Reichspogromnacht
10. November 2023Terror gegen Israel und aufflammender Antisemitismus
Reichspogromnacht
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 erreichte der Hass auf Juden in Nazi-Deutschland ein Mass, das bis dahin noch nie zuvor erlebt worden war. Mehr als 400 Menschen starben gewaltsam, während etwa 30’000 Menschen festgenommen und in Konzentrationslagern inhaftiert wurden, darunter viele Kinder. Tausende von jüdischen Geschäften und Wohnungen sowie mehr als 1’400 Synagogen und Gemeinschaftsräume wurden zerstört. Der Holocaust begann mit der Reichspogromnacht, die den Beginn der systematischen Vernichtung der Juden markierte. Auch wenn diese Ereignisse schon 85 Jahre zurückliegen, ist es zentral, dass wir daran gedenken und Lehren aus der Vergangenheit ziehen.
Angriff auf Israel
Am Samstag, dem 7. Oktober 2023 gegen 06:30 Uhr Ortszeit, griff die islamistische Terrororganisation Hamas Israel an. Die Attacke, welche mit dem Abschuss von rund 3’000 Raketen auf Wohngebiete und der gewaltsamen Invasion in grenznahe Dörfer und Kibbuzim begann, fand am jüdischen Feiertag Simchat Tora statt. An keinem anderen Tag seit dem Ende des Holocausts wurden mehr Jüdinnen und Juden ermordet als an diesem 7. Oktober vor knapp einem Monat. Zudem haben die Hamas-Terroristen über 230 Menschen nach Gaza entführt und halten sie dort als Geiseln und menschliche Schutzschilde fest.
Antisemitismus in der Schweiz
Doch der Nahostkonflikt zeigt seine Auswirkungen auch in der Schweiz. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel gibt es viel mehr antisemitische Übergriffe, Beschimpfungen und Drohungen. Inmitten der Stadt Zürich beispielsweise, in der Nähe der Kirche Fluntern, wurde eine Hauswand mit dem Schriftzug «Tot den Juden» besprüht. Andernorts haben zwei Jugendliche einen Mann mit einer Davidstern-Kette angegangen, spuckten ihm auf die Füsse und skandierten «Free Palestine». Jüdische Institutionen, darunter auch die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ), erhalten antisemitische Hassbriefe und E-Mails.
Gemeinsames Zeichen setzen
Die ICZ organisierte eine Gedenkveranstaltung am Donnerstag, dem 9. November 2023, in der Synagoge Löwenstrasse, um an die Ereignisse der Reichspogromnacht zu erinnern. Gleichzeitig musste aber auch über den jüngsten Terror gegen Israel und den aufflammenden Antisemitismus gesprochen werden. Den musikalischen Einstieg machte der Synagogenchor der ICZ unter der Leitung von Dirigent Robert Braunschweig. Sechs Kerzen wurden zum Gedenken an die 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die im Holocaust von den Nazis ermordet wurden, entzündet:
- Corine Mauch, Stadtpräsidentin
- I.E. Ifat Reshef, israelische Botschafterin in Bern
- Raphael Meier, Synodalratspräsident Katholische Kirche im Kanton Zürich
- Pfr. Michel Müller, Kirchenratspräsident der reformierten Kirche Kanton Zürich
- René Fraefel, Kirchgemeindepräsident Christkatholische Kirche Zürich
- Richard C. Schneider, Journalist und Autor
Im Anschluss zündete Rabbiner Noam Hertig eine siebte Kerze für die rund 1’400 Terroropfer vom 7. Oktober 2023 an. An der Gedenkfeier waren auch viele Politikerinnen und Politiker aus Stadt und Kanton anwesend, wie beispielsweise Sofia Karakostas, Präsidentin des Gemeinderats Zürich.
In Ihrer ersten öffentlichen Rede vor jüdischem Publikum fand die Stadtpräsidentin klare Worte:
«Israel und seine Verteidigungskräfte sind stark. Die militärische Stärke Israels und die Antwort Israels auf den Hamas-Terror dürfen nicht dazu verdreht werden, das Massaker der Hamas und die Hamas selbst zu verharmlosen. Die Hamas kämpft nicht für Freiheit. Sie kämpft nicht für Gerechtigkeit und nicht für Solidarität. All das, was uns eint, will die Hamas nicht. Sie ist totalitär, zutiefst rassistisch und sexistisch. Die Hamas schreckt nicht zurück vor fürchterlichem Terror gegen Jüdinnen und Juden – und gegen die eigene Bevölkerung. Der Terror der Hamas dient einem Ziel: Der Vernichtung der Jüdinnen und Juden und der Beseitigung der westlichen Moderne mit ihren demokratischen Errungenschaften.»
Anschliessend übernahm Rabbiner Noam Hertig das Mikrofon für eine kurze Rede sowie verschiedene Gebete für die Opfer der Schoah, aber auch für die Verletzten und Entführten und Israel und den Frieden allgemein. Danach hielt Richard C. Schneider, SPIEGEL-Autor und langjähriger ARD-Korrespondent in Israel und den palästinensischen Gebieten, ein Essay über die Situation im Nahen Osten. Gekonnt flossen dabei sowohl der historische Kontext, als auch hochaktuelle politische und gesellschaftliche Aspekte ein. Er sprach vom Versagen und einem «gebrochenen Versprechen» des israelischen Staates gegenüber seinen Bewohnerinnen und Bewohnern, aber auch der jüdischen Menschen weltweit, die Sicherheit immer und überall zu garantieren. Dann sprachen die Jugendbünde gemeinsam mit den Anwesenden einige Tehilim (Psalmen).
Zum Abschluss stimmte der Chor das jiddische Lied “Mir lebn eybik” (Wir leben ewig) ein weiteres Mal ein, begleitet von der Nationalhymne Hatikva, was die Veranstaltung auf beeindruckende Weise abschloss. Die Gedenkfeier endete mit einem Gefühl der Reflexion und Solidarität, um gemeinsam der Vergangenheit zu gedenken und für eine friedliche Zukunft zu beten.
In stillem Gedenken brannten die Lichter der Synagoge Löwenstrasse vom 9. auf den 10. November 2023 die ganze Nacht.
Videoaufzeichnung des Gedenkanlasses
Medienberichte
- tachles: Das gebrochene Versprechen
- TeleZüri: Stadtpräsidentin Mauch spricht an Gedenktag der Reichspogromnacht (Video)
- NZZ: «Man sagt immer ‹nie wieder› – und doch ist es wieder passiert»
- Tages-Anzeiger: Jüdische Gemeinschaft in Zürich gedenkt ihrer Opfer