Veröffentlicht vor 5 Jahren • veröffentlicht von Michael

Ruth Gellis – Eine Welt ohne Grenzen

«Mir sind die Menschen wichtig, darum engagiere ich mich für den interreligiösen Dialog. Ich möchte die Idee vom Judentum für alle verständlich machen», erklärt Ruth Gellis, die eigentlich ihren Ruhestand geniessen könnte, aber unermüdlich und voller Energie vor mir erscheint. Über 20 Jahre lang war sie Schulleiterin in der ICZ und somit verantwortlich für das Pädagogische der Gemeinde, was die Bereiche Vorkindergarten (Ganon), Kindergarten, Religionsunterricht (Unzgi) und Erwachsenenkurse beinhaltete.

 

Wie ein wandelndes Lexikon, hat Ruth auf jede Frage, was das Judentum betrifft, eine Antwort, die sie für jeden zugänglich macht. Woher sie das so ‘einfach’ kann, frage ich sie: «Alle diese Jahre, das ist gesammelte Erfahrung. Ich habe nicht extra ein weiteres Studium absolviert. Mein ganzes Wissen habe ich mir über die Zeit hinweg angeeignet, war an Weiterbildungen und Kursen. Besonders auch bei verschiedenen Schiurim, wie wir sie bei Midreschet Wollishofen pflegen. Da behandeln wir Themen wie die Philosophie des Judentums, Interpretationen des Tanach oder Bewegungen in den halachischen Anpassungen. Aber auch noch viel mehr, ganz klar. Und natürlich habe ich – und noch immer – auch sehr viel von meinem Mann lernen dürfen. Sein jüdisches Wissen ist gigantisch!», strahlt Ruth mit grossen Augen und führt beinahe nahtlos weiter «Halacha – Weisst du, von was das abgeleitet ist und übersetzt heisst? Es kommt vom Verb ‘halach’ was soviel heisst wie gehen, wandeln oder in Bewegung bleiben. Die Halacha ist im Judentum Wegweiser und Begleiter zugleich und bestimmt die Verhaltensregeln für ein jüdisches Leben.» Und hier erlebe ich direkt, wie Ruth es schafft, Wissen einfach zu vermitteln. Sie benötigt nicht viel und erinnert mich, dass wir alle auf unserem Lebensweg viele verschiedene Phasen durchgehen, so vieles meistern und doch immer Schüler bleiben, egal welcher Religion oder Strömung man angehört.

 

Vor ungefähr 12 Jahren gab die engagierte Schulleiterin ihre Position weiter und wechselte zur Projektverantwortlichen im Bereich interreligiöser Dialog. Die neugeschaffene Stelle fand schnell hohes Interesse und wurde somit zu einem Selbstläufer. Neben unzähligen Veranstaltungen, Fortbildungen in Spitälern und Schulen, bietet Ruth regelmässig Synagogenführungen für die Öffentlichkeit an. «Ich möchte den Mitmenschen, die nicht viel Ahnung oder kaum Berührungspunkte mit dem Judentum haben, Vorurteile nehmen und das, was ihnen exotisch oder absurd erscheint, bodenständig erklären. Eines meiner grössten Anliegen ist, dass es immer wichtig ist, Respekt vor jedem zu haben.» Wenn man Ruth gegenübersteht, dann haben ihre Worte eine enorme Kraft, denn ihr Auftrag ist eine Herzensangelegenheit und nicht eigennützig. Die Mutter dreier Söhne und Grossmutter von zehn Enkel macht das für die Gemeinde und für eine bessere Wahrnehmung der Juden in Zürich, der Schweiz und ja, in der Welt. Sie ist, so kann man gut sagen, neben Gemeinderabbiner Noam Hertig ein wichtiges Bindeglied nach aussen und Botschafterin mit breitem Netzwerk.

 

Neben all ihrem Engagement beteiligte sich Ruth Gellis an der Zusammenstellung des Schulprogrammes ‘Kultur und Religion’ der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) und macht sich stark, dass eine aufgeklärte Gesellschaft wegweisend für die Zukunft ist und mit Vorurteilen aufräumt. Wenn man die langjährige ICZ-Mitarbeiterin fragt, wie sie die eigene Zukunft hier sieht, bereitet ihr das schon etwas Stirnrunzeln: «Ja, meine Nachfolge… Bis jetzt habe ich noch niemanden gefunden (lacht). Im Moment bin ich noch voll engagiert, mal sehen was später sein wird.»

 

Interview: Teresa Schäppi